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Wenn Change zu früh endet
Eigentlich war alles gut verlaufen: Die Facility Management Funktion wurde von einer zentralen auf eine regionale Struktur umgestellt, zudem wurden parallele Bereiche zusammengelegt. Das Projekt unseres Kunden war mit Hilfe interner Organisationsentwicklungs-Experten professionell geplant und die neue Organisationsstruktur in enger Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat umgesetzt worden – in time und in budget.
Dennoch traten nach dem Go-Live beträchtliche Schwierigkeiten auf. Im Rahmen diverser Workshops wurde ich hinzugezogen, da vieles einfach nicht funktionierte und lähmende, langwierige Abstimmungen und Klärungsprozesse die Arbeit massiv erschwerten. Aber warum?
Lag es an der Kommunikation zum Change-Prozess?
Möglicherweise, denn die Ziele und Nutzenfaktoren wurden nur vage formuliert. Begriffe wie mehr Effizienz sind eben wenig greifbar, besonders wenn nicht klar ist, wo und wie diese Effizienz entstehen soll. Es schien mir, viele Mitarbeitende hatten schlicht nicht verstanden, wofür / wogegen man die bisherigen Strukturen aufgelöst hatte. Die Motivation den Change zu unterstützen, gar mitzugestalten, war infolgedessen gering.
Lag es an mangelnden Kompetenzen für die neuen Rollen?
Eher nicht. Die Rahmenbedingungen und fachlichen Kompetenzen blieben auch in der neuen Aufstellung nahezu gleich. Auch gab es keine Personalreduktionen, die eigentliche Arbeit wurde im Wesentlichen wie bislang fortgesetzt.
Lag es am Projektmanagement?
Nein, und vielleicht ja… Nein, denn grundsätzlich wurde professionell Projektmanagement betrieben.
Aber auch Ja: denn es wurde meines Erachtens zu früh mit der Projektarbeit aufgehört.
HIer sehe ich ein häufig vorkommendes Problem in Organisationsveränderungsprojekten: Ein Projektteam hat die neue Struktur im Blick – also die neue Aufbauorganisation und die neuen Rollen. Dabei steht das Projekt insbesondere im letzten Drittel der Projektarbeit meist unter enormem Druck. Welche Erleichterung, wenn man endlich den Go-Live Termin erreicht hat.
Jedoch werden dabei leider zu oft Prozesse nur oberflächlich betrachtet. Die Annahme: 'das wird sich schon zurechtruckeln' führt dann in der Praxis zu ziemlichem Chaos. Denn: auch nach dem Go-Live der neuen Aufbauorganisation passen sich zentrale Prozesse und geänderte Rollenanforderungen nicht automatisch der neuen Situation an. Er ruckelt dann ordentlich, aber sich nicht zurecht.
Ein Beispiel: Nach der Reorganisation wurden in bestimmten Prozessen weiter Unterschriften von Abteilungen verlangt. Nur leider gab es diese schlicht nicht mehr. Flexibilität ist gefragt - doch im Ergebnis sind Mitarbeitende irritiert, und sichern sich bei ihren Chefs ab – die daraufhin deutlich mehr Arbeitsbelastung erleben. Entscheidungen in der Folge dauern länger, weil niemand so recht Verantwortung übernehmen mag für nicht klar geregelte Abläufe. Der Druck durch interne und externe Partner steigt, und nach kurzer Zeit alle sind überlastet und genervt von diesem Change.
Was kann man tun, um dies zu verhindern?
Eigentlich ist die Antwort recht einfach: die Dinge muss man bis zum Ende denken, denn gelungene Veränderung braucht ausreichend Arbeit auf drei Ebenen (vgl. Loebbert, 2015)
- Sinnstiftung – geplante Kommunikation: alle Beteiligten sollen verstehen, wofür und wogegen der Wandel notwendig ist.
- Professionelles Projektmanagement – die Organisation muss die Veränderungen gut planen und zügig umsetzen.
- Rollen und Prozesse – Die neuen Rollen und damit verbunden die geänderten Prozesse, müssen geklärt und vermittelt werden. Ggf. ist Kompetenzanpassung nötig.
Und hier, im Reorganisationsprojekt unseres Kunden, war genau der letzte Punkt der Auflistung m.E. nicht zu Ende geführt. Die Rollen waren soweit klar. Doch man hatte die Prozessveränderungen nicht ausreichend berücksichtigt.
Es ist dabei sehr verständlich: Reorganisationen sind immer sehr anstrengend für alle Beteiligten. Und natürlich sind Projektteams und Führungskräfte froh, wenn sie einen Change-Prozess endlich abschließen können. Zu oft wird dabei aber übersehen, dass die Prozesse und Rollen im Alltag geklärt, angepasst und vermittelt werden müssen. Wenn dann deutlich wird, dass man hier noch nacharbeiten muss, ist mitunter keine Energie, kein Budget oder auch kein Wille des Managements mehr vorhanden. Und man schaut weg oder zum nächsten Thema (nach vorn) – und lässt die Mitarbeitenden mit den Nachwehen der nicht zu Ende gedachten Veränderung allein.
Die Auswirkungen sind schwerwiegend: bleibt zu viel in der Startphase unklar, herrscht unnötig große Verwirrung. Das Neue scheint nicht besser als das vermeintlich gute Alte und im Zweifel verbleibt die Belegschaft trotz neuer Rollen im alten, früheren Arbeitsmodus. Denn die früheren Prozesse funktionierten ja wenigstens und sind allen bekannt. Vielleicht erklärt es sich so, dass seit Jahren immer wieder berichtet wird, dass ein überwiegender Teil aller Change-Vorhaben ihre Ziele nicht erreichen (vergl. Scheitern in Veränderungsprojekten - Versus Magazin.)
Fazit: Das Gelingen der erfolgskritischen Startphase des Neuen bürgt für den Erfolg der gesamten Projektarbeit. Daher erscheint es mir empfehlenswert, neben der Aufbauorganisation auch frühzeitig die Ablauforganisation genau zu definieren. Der Go Live ist wichtig - aber eben noch lange nicht das Ende des Projekts. Prozess- und Klärungsworkshops während der sensiblen Startphase sollten bereits im Vorfeld eingeplant und budgetiert werden. Dafür sollten kompetente interne oder externe Moderatoren zur Verfügung stehen und schnell einsetzbar sein.
Welche Erfahrungen habt ihr mit zu früh beendeten Veränderungsprojekten gemacht?
Wir freuen uns auf Eure Kommentare.